Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht
Ob wir leben wollten oder lieber nicht
Jetzt gehe ich allein, durch eine große Stadt,
Und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat
Ich schaue in die Stuben durch Tür und Fensterglas,
Und ich warte und ich warte auf etwas.
(Marlene Dietrich – „Wenn ich mir was wünschen dürfte“)
Seit dem 20. November 1945, seit den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher des zweiten Weltkriegs und des Holocausts, wird bei Konferenzen, in der Teilnehmer*innen auf Grund der Sprache den Ablauf nicht verfolgen können, Simultan-Dolmetschen angewendet. Das Simultan- Dolmetschen ist ein komplexer Vorgang: der/die Dolmetscher*in muss in der gleichen Zeit, in der er eine Aussage versteht, diese für das Publikum in eine andere Sprache umsetzen. Beide, Dolmetscher*in und Publikum, sind mit spezieller Technik (Mikrophon und Kopfhörer) ausgerüstet. Dolmetscher*innen müssen Informationen schnell verstehen und diese unmittelbar wiedergeben. Die Verzögerung zwischen Aufnahme und Wiedergabe in die Zielsprache liegt bei ca. 7 - 8 Sekunden, wobei die Übersetzer*innen unter hohem Druck arbeiten. Denn es ist nicht nur der Zeitdruck, also die kurze Zeit, die für die Übersetzung zur Verfügung steht, sondern auch die Herausforderung, dass bereits beim Wiedergeben die nächste Information aufgenommen werden muss. Diesen hohen Anforderungen des Simultandolmetschens setzt sich die Künstlerin Barbara Ungepflegt in ihrer performativen Installation Heimat in einfacher Sprache aus.
Mit Empathie und Unverfrorenheit übersetzen Barbara Ungepflegt und Sophie Willhaben die Gedanken der vorbeigehenden Passanten*innen: schnell, effizient, unverblümt. Via Kopfhörer werden diese für andere Passant*innen simultan übersetzt.
In der Wiener Innenstadt, im Durchgang vom Dr. Karl Lueger Platz 4 Richtung Café Engländer wird vom 29.6. bis 2.7.2022 eine (ISO-genormte) Dolmetsch-Kabine aufgestellt, davor einige Kongress-Stühle, die einladen, Platz zu nehmen und via Kopfhörer, den Gedankenübersetzungen der vorbeigehenden Passant*innen zuzuhören. In Deutsch und Chinesisch, auf alle Fälle in einfacher Sprache.
Dolmetsch-Performance: Barbara Ungepflegt, Sophie Willhaben
Dramaturgische Beratung: Ute Burkhardt-Bodenwinkler
Technik: Arik Kofranek
Mit freundlicher Unterstützung von Ma 7 - Kultur Wien, BMKÖS und Bezirkskultur Innere Stadt
ENGLISH Since the Nuremberg Tribunals against the major war criminals of the Second World War and of the Holocaust on 20 November 1945, simultaneous interpreting has been used at conferences where participants are unable to follow the proceedings because of the language. Simultaneous interpretation is a complex process: the interpreter has to translate a statement into another language for the audience in the same time as he or she understands it. Both interpreter and audience are equipped with special technology (microphone and headphones). Interpreters have to understand information quickly and reproduce it immediately. The delay between recording and rendering into the target language is about 7 - 8 seconds, and the translators work under high pressure. It is not only the time pressure, i.e. the short time available for the translation, but also the challenge that the next piece of information must already be recorded during the reproduction. The artist Barbara Ungepflegt exposes herself to these high demands of simultaneous interpreting in her performative installation Heimat in einfacher Sprache.
With empathy and impertinence, Barbara Ungepflegt and Sophie Willhaben translate the thoughts of passers-by: quickly, efficiently, directly. Via headphones, these thoughts are simultaneously translated for other passers-by.
Die einfache Sprache des Volkes versteht niemand mehr. Eine Übersetzung ist notwendig: Barbara Ungepflegt stellt sich mit ihrer performativen Installation Heimat in einfacher Sprache den komplexen Anforderungen des Simultandolmetschens. Mit Empathie und Unverfrorenheit übersetzt sie die Gedanken der Passanten: schnell, effizient, unverblümt. Gedankenfetzen und Befindlichkeiten Vorbeigehender, die Ungepflegt aus einer Dolmetsch-Kabine an die Zuhörer (via Kopfhörer) weitergibt, verwandeln den öffentlichen Raum zum Kongress der Intimität. Reaktionsgeschwindigkeit, Konzentration und Laune der Dolmetscherin sind für die Übersetzung ausschlaggebend. In jedem Fall in einfacher Sprache.
Von und mit Barbara Ungepflegt, dramaturgische Beratung: Ute Burkhardt-Bodenwinkler
9. - 12. Juni 2021, Tummelplatz, 8010 Graz
@ Dramatikerinnenfestival Graz in Kooperation mit Kunst im öffentlichen Raum Steiermark